Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger

Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger

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Die Gummersbacherin Sabine Grützmacher ist seit dem Herbst 2021 Bundestagsabgeordnete. Im Jahr darauf wurde bei ihr Krebs diagnostiziert.
Nach intensivem Kampf gegen die Krankheit ist die 38-Jährige nun wieder voll auf die politische Bühne zurückgekehrt. Im Interview
mit Florian Sauer spricht Grützmacher über Aufgaben, die ihr auf den Nägeln brennen, die Stimmung in der Berliner Ampel-Koalition und
ihre Kandidatur für die Wahl im Herbst des kommenden Jahres.

Frau Grützmacher, vorneweg die wichtigste Frage:
Wie geht es Ihnen?

Mir geht es gut, ich bin im vergangenen Jahr zweimal operiert worden und habe eine Chemotherapie hinter mir. Nach einer verkürzten Reha bin ich seit Ende Januar wieder voll zurück. Ich bekomme Physiotherapie und arbeite noch ein bisschen an der Work-Life-Balance. Aber ich fühle mich gut und bin froh, wieder da zu sein.

Ich kann mir vorstellen, dass ein Mandat im Bundestag nicht nebenher wahrzunehmen ist.
Für Abgeordnete gilt ja kein Hamburger Modell, bei dem man mit reduzierter Stundenzahl wieder zurück in den Job kommt (lacht). Im Ernst: Ende 2023 konnte ich trotz
Chemotherapie noch einige Anhörungen im Bundestag online verfolgen. Aber die ganze Situation war für mich unbefriedigend, man ist digital aufgrund der Therapie nur am Rand dabei.

Was sind für Sie die Themen,
denen Sie sich jetzt zuerst widmenwollen?
Im Digitalausschuss dreht sich momentan viel um die Abschaffung des sogenannten Hacker-Paragrafen. Es kann nicht sein, dass sich jemand strafbar macht, der auf Sicherheitslücken von IT-Systemen aufmerksam macht, das betrifft viele ehrenamtliche Sicherheitsforschende. Im
Finanzausschuss wiederum wollen wir das BBF umsetzen, das neue Bundesamt zur Bekämpfung von Finanzkriminalität.
Allerdings brauchen die Mitarbeitenden dort auch vernünftige Instrumente. Bislang stehen die Ermittler zu oft vor Briefkastenfirmen und müssen dann resignieren.
Künftig wollen wir auf den„Follow the Money“-Ansatz setzen, der es ermöglicht, bei verdächtigem Vermögen auch ohne sogenannte
Vortat ermitteln zu dürfen. Nur so kommen wir an die dicken Fische und schaffen es, in der Geldwäschebekämpfung effektiver zu werden.
Deutschland war viele Jahre eines der großen europäischen Schlupflöcher für Geldwäsche, beim Bargeldkaufverbot für Immobilien konnten wir schon gegensteuern. Es ist für mich unverständlich, wie dem Staat hier in den vergangenen Jahren nach Schätzungen Milliarden entgangen sind. Umso wichtiger,
dass wir nun auch mit Blick auf den Haushalt gegensteuern.

Stichwort Haushalt: Oberbergs Stadt- und Gemeinderäte beklagen, dass Berlin Entscheidungen trifft, die dann aber die Kommunen bezahlen müssen.
Ich habe Verständnis für die Sorgen, neulich erst bin ich bei der oberbergischen Bürgermeister-Runde dabei gewesen. Natürlich trifft der Frust der Menschen über geschlossene
Schwimmbäder und kaputte Straßen zuerst die Rathäuser. Im Rahmen der Möglichkeiten wird trotzdem noch viel investiert. Wahr ist aber auch:Vor der Haushaltsklage in Karlsruhe waren Maßnahmen zur kommunalen Entschuldung durch den Bund im Gespräch, dafür ist nun kein Spielraum mehr. Aber lassen Sie mich noch einen Satz zur Schuldenbremse sagen: Ich bin der Meinung, in der momentanen Situation müsste  der Staat erst recht investieren, gerade jetzt ist das Beharren auf die Schuldenbremse falsch. Und wenn es hier eine Einigung gäbe, würden davon auch die Kommunen profitieren.  Deswegen werbe ich sehr für ein Umdenken.

Das allerdings ist mit der FDP nicht zu machen. Wie bewerten Sie die aktuelle Stimmung zwischen den drei Ampelpartnern?
Mit den Fachkollegen läuft die  Zusammenarbeit gut. Aber es ist sicher kein Geheimnis, dass es mit nur zwei Partnern einfacher wäre. Negative Schlagzeilen verkaufen sich besser. Deshalb müssen wir viel stärker kommunizieren, was wir für die
Menschen schon erreicht haben und was noch ansteht. Meiner Meinung nach muss bis zum Ende der Legislatur auch die Kindergrundsicherung beschlossen werden, einer der ganz zentralen Bausteine in dieser Legislaturperiode und im Koalitionsvertrag
verankert. Geld, das den Familien zusteht, muss auch dort ankommen. Und zwar ohne Papierkrieg, der viele überfordert. Hier erwarte
ich von unseren Koalitionspartnern auch, dass diesem Anliegen die für die Familien angemessene Priorität eingeräumt wird. Für mich persönlich wäre außerdem auch das Klimageld eines der wichtigsten Projekte.

Mobilität ist ja ein grünes Kernthema.
Wie zufrieden sind Sie mit der Situation in Oberberg? Die Bahn fährt nicht, auf der Autobahn staut es sich und den Bussen fehlen die Fahrer. Könnte besser
laufen, oder?
Den Frust kann ich verstehen, aber gerade wir Grüne setzen uns doch für eine funktionierende Mobilität ein. Auf Kreisebene etwa fordern wir deutlich mehr Radwege. Es wäre schon sehr viel gewonnen, wenn bei Fahrten unter 15 Kilometer Länge das Radfahren für die, die wollen, auch zur Arbeit problemlos möglich
wäre. Das löst natürlich nicht die Probleme derjenigen, die täglich nach Köln müssen. Aber auch dort darf es nicht nur eine Mobilitätsform
geben. Es braucht den Mix aus Elektroautos, einer verlässlichen Regionalbahn und sicheren Radwegen.
Ich möchte auch die Wiehltalbahn noch nicht aufgeben, sie ist vitales Interesse der Südkreiskommunen und muss vorangetrieben werden, selbst wenn eine Umsetzung erst längerfristig zu erwarten ist und die aktuell in der Bearbeitung befindliche Nutzen-Kosten-Bewertung der Reaktivierung noch aussteht.
Im Übrigen zeigt ja gerade das 49-Euro-Ticket auch, dass soziale und nachhaltige Politik zusammengeht, hier muss die Zustimmung
hoch bleiben, der Preis darf aber nicht steigen.

Noch einmal nachgehakt: Hat grüne Verkehrspolitik nicht vielmehrden Innenstädter im Blick, mit ausgebautem Radweg und Straßenbahn gleich vor der Haustür?
Das finde ich überhaupt nicht. Sehen Sie, ich bekomme so oft Rückmeldungen von Niederlande-Urlaubern, die schwärmen richtig, wie toll man dort Radfahren kann. Das möchte ich auch hier und da lasse ich nicht gelten, dass die Topographie hier eine andere ist, denn während der Pandemie haben so viele Menschen E-Bikes gekauft und fahren
begeistert in ihrer Freizeit. Einige würden die gerne auch auf dem alltäglichen Arbeitsweg nutzen. Ich bin davon überzeugt – die Verkehrswende kann im ländlichen Raum
funktionieren, wenn es sichere Radwege gibt. Außerdem haben wir ja schon jetzt gute und aussichtsreiche erste Ansätze neben Radwegen, von Bürgerbusinitiativen und Sharing-Angeboten bis hin zu Monti und Mitfahrerbänken. Bürgerinnen und Bürger sowie die Kommunen sind längst auf dem Weg. Diese Energie müssen wir im Sinne des notwendigen Klimaschutzes nachhaltig unterstützen. Die Verkehrswende kann auch im ländlichen Raum funktionieren.

In gut anderthalb Jahren wird wieder gewählt. Bewerben Sie sich erneut für einen Sitz im Bundestag?
Die Landesliste der Grünen wird ja erst am Ende dieses Jahres aufgestellt, aber ich möchte wieder kandidieren, wenn meine grünen Mitglieder aus Oberberg mich unterstützen.
Es gibt noch viel zu tun im Land, vor allem auch in meinen Themen zu finanzieller Gerechtigkeit und Bekämpfung von Finanzkriminalität und Geldwäsche. Nach all den Jahren konservativer Politikdominanz kann in nur einer Legislatur keine Wende erfolgen. Damit unsere Politik nachhaltig wirkt, braucht es mehr Zeit. Schauen Sie auf die jahrzehntelangen Versäumnisse im Infrastrukturbereich.
Ob Energiesicherheit, Straßen, Schienen, Glasfaserversorgung – es gibt noch viel zu korrigieren in unserem Land. Sicher ist allerdings schon heute, dass der nächste Bundestag kleiner wird, und das ist auch richtig so. Die Chancen auf eine Wiederwahl sind nicht
schlecht, aber ich kann natürlich nicht in die Zukunft sehen.

Letzte Frage: Die AfD hat mit Blick auf 2025 angekündigt, gerade in Oberberg viel Personal in den Wahlkampf zu stecken. Beunruhigt Sie das?
Das macht mir keine Angst, sondern bestärkt mich eher noch mehr, mit aller Entschiedenheit dagegen anzutreten. Das Gleiche sollte übrigens für alle demokratischen Parteien gelten. Dass etwa Gummersbachs Bürgermeister Frank Helmenstein neulich auf der Demonstration gesprochen hat, fand ich ein gutes Zeichen.
Die AfD ist inzwischen zum Beispiel bei TikTok massiv präsent und ködert junge Menschen mit Falschmeldungen. Wenn die Partei dazu noch mit Matthias Helferich jemanden in ihren NRW-Landesvorstand wählt, der sich selbst als „das freundliche Gesicht des Nationalsozialismus“ bezeichnet hat, dann ist es an der Zeit, laut über ein Verbotsverfahren nachzudenken. Diese Verantwortung kann aber nicht nur bei der Zivilgesellschaft liegen. Das Grundgesetz gibt uns das Verbotsverfahren als Instrument zum Schutz unserer Grundrechte. Man muss ein AfD-Verbot in jedem Fall laut diskutieren. Ich persönlich werde das auch mit dem ehemaligen Ostbeauftragten der Bundesregierung, Marco Wanderwitz, in den kommenden Wochen in Angriff nehmen.

Ermittlungsbefugnisse Finanzkriminalität

Ermittlungsbefugnisse Finanzkriminalität

Die Behörde zur Bekämpfung von #Finanzkriminalität braucht echte Ermittlungsbefugnisse bei verdächtigen Vermögen. Darüber herrscht derweil Uneinigkeit zwischen BMF und BMJ – SPD und Grüne sind sich einig, dass eine so teure neue Behörde auch echte Befugnisse haben muss, um effektiv Finanzkriminalität und Geldwäsche bekämpfen zu können
Erste Ergebnisse zur Strafrechtsreform #Hackerparagraph

Erste Ergebnisse zur Strafrechtsreform #Hackerparagraph

INFOBOX
Rechtsicherheit für IT-Sicherheitsforschung

Der Hackerparagraph, umgangssprachliche Bezeichnung des §202c StGB stellt die Herstellung, das Überlassen, das Verkaufen, das Verbreiten oder sonst wie zugänglich machen von Computerprogrammen, deren Zweck die Begehung einer Straftat nach §202a StGB ist unter Strafe.

Kein Werkzeug kann in seinem Zweck eindeutig bestimmt werden.

Der Zweck des Werkzeugs resultiert aus der Anwendung, ist aber keine Eigenschaft die einem Werkzeug unveränderlich innewohnt. Eindeutig zeigt sich dies z.B. in den Spezialwerkzeugen eines Schlüsseldienstes – diese dienen dem zerstörungsfreien Öffnen einer Tür ohne den korrekten Schlüssel. Selbstverständlich sind diese Werkzeuge in den Händen von Kriminellen geeignet einen Einbruchdiebstahl zu begehen, in den Händen eines Schlüsseldienstes ist die Anwendung rechtlich unbedenklich und natürlich nicht strafbar. 

Computerprogramme (Werkzeuge), wie z.B. Portscanner zur Überprüfung der IT-Sicherheit von Computersystemen und Netzwerken eignen sich zweckbedingt sowohl zur Durchführung von Straftaten, als auch zur Prüfung und Verbesserung der Sicherheit. Auch ein sog. Exploit, also ein Computerprogramm mit der Funktion der automatisierten Ausnutzung einer Sicherheitslücke kann der Ausübung einer Straftat dienen, ist aber auch ein Beweis für die Existenz und Ausnutzbarkeit einer Sicherheitslücke. Hersteller von Software leugnen in manchen Fällen die Existenz einer Sicherheitslücke um das eigene Ansehen als Hersteller sicherer Software nicht zu beschädigen. Darüber hinaus erzeugt das Beheben der Sicherheitslücke Kosten für den Hersteller. Das Anfertigen eines Exploits dient in diesem Fall dem (öffentlichen) Beweis der Existenz der Sicherheitslücke, auch wenn der Hersteller die Existenz leugnet. In vielen Fällen in der Vergangenheit war dieses Vorgehen seitens der Forscher notwendig um den Hersteller unter Druck zu setzen die Sicherheitslücke zu beheben.

Derzeit begeben sich ehrenamtliche SicherheitsforscherInnen in große Rechtsunsicherheit, wenn sie z.B. staatliche Systeme auf IT-Sicherheit überprüfen. Es drohen Hausdurchsuchungen, Beschlagnahme von Computersystemen und sogar Haftstrafen. Das soll sich ändern – dafür haben wir uns schon bei den Verhandlungen um den Koalitionsvertrag eingesetzt. 

Nun gibt es erste Ergebnisse: Das Bundesministerium für Justiz hat ein Eckpunktepapier vorgelegt, indem eine Strafrechtsreform beschrieben wird, die auch den Hackerparagraphen reformieren wird. Bevor das BMJ dieses Eckpunktepapier entwickelt hat, wurde ein Konsultationsprozess durchgeführt, zudem neben VertreterInnen der Rechtspflege, VertreterInnen der IT-Sicherheits-Branche auch zivilgesellschaftliche VertreterInnen eingeladen wurden. Das BMJ führte neben einer Onlinekonsultation zwei juristische Symposien zum Reformbedarf im Cyberstrafrecht durch. Zusätzlich beschäftigte sich auch der auf Anregung und in Kooperation mit der Zivilgesellschaft durchgeführte Workstream „Buntes Bug Bounty“ https://www.dialog-cybersicherheit.de/b3 mit der Thematik.

Ich freue mich sehr, dass das Bundesministerium der Justiz diesen Reformprozess so modern, offen und transparent durchgeführt hat – zivilgesellschaftliche Beteiligung an solchen Prozessen ist ein Thema, für das ich mich im gesamten Regierungshandeln einsetze.

In meiner Wahrnehmung eignet sich der durchgeführte Konsultationsprozess als Vorbild und Best-Practice Beispiel für andere Ministerien. 

Gerade vor dem Hintergrund, der angespannten Cybersicherheitslage ist es wichtig, dass wir unsere Systeme so sicher wie möglich gestalten. Neben sicheren Architekturen gehört dazu auch, dass wir Menschen, die sich im Ehrenamt für die IT-Sicherheit einsetzen, nicht auch noch kriminalisieren. Der CCC aber auch andere netzpolitisch aktive Organisationen wie z.B. der FifF oder Digitalcourage betonen den Reformbedarf in diesem Bereich seit einigen Jahren.

Heute im Bundestag: Erbschaftsteuer

Heute im Bundestag: Erbschaftsteuer

Heute debattiert der Bundestag zur #Erbschaftsteuer.
Hierzu ein paar Fakten ⬇️


Vermögen in Deutschland sind sehr ungleich verteilt: Die vermögendsten 1% haben mehr Vermögen als 90% der Menschen! Die Vermögensungleichheit in Deutschland ist EU-weit am zweithöchsten, nur in Schweden ist sie noch höher.

📃Quelle: DIW, 2020

Erben ist in Deutschland nur für ca. 1/3 der Menschen überhaupt ein Thema: ca. 65% der Menschen erben gar nicht oder so gut wie gar nichts. Ca. 10% der Menschen machen die Hälfte aller Erbschaften & Schenkungen aus – ca. 200 Mrd. Euro pro Jahr! 📃: DIW, 2021 & 2016

Die Erbschaftssteuer ist im Effekt ungerecht: wer besonders viel erhält, zahlt relativ gesehen weniger Steuern. Bei Schenkungen über 20 Mio. Euro ist der effektive Steuersatz z.B. nur noch 2,2%!
📃Quelle: Erbschaft- und Schenkungsteuerstatistik 2021

Wahrscheinlich verfassungswidrig: die „Verschonungsbedarfsprüfung“ ermöglicht bei Erbschaften >26 Mio. Euro einen kompletten Steuererlass! 2021 wurden so ca. 500 Mio. komplett steuerfrei vererbt.
📃: Netzwerk Steuergerechtigkeit

Und übrigens: Der Mythos „Verkaufszwang des eigenen Häuschens“ ist schlichtweg falsch!
Wenn ein Eigenheim durch Ehegatt*innen oder Kinder geerbt und selbst bewohnt wird, ist es komplett steuerfrei! Zusätzlich gelten die Steuerfreibeträge, pro Kind z.B. 400k Euro.
📃: § 13 & 16 ErbStG